Leiden ist Teil des Lebens, sagt der Bhudda. Und gleichzeitig hat er eine Möglichkeit gefunden das Leiden zu beenden (vielleicht eher ein wenig zu mindern). Klingt erstmal nach einer guten Sache. Aber wie entsteht Leiden und was ist eigentlich Schmerz?
Das gute, alte Wikipedia sagt zu Schmerzen: „Schmerz ist eine komplexe subjektive Sinneswahrnehmung, die als akutes Geschehen den Charakter eines Warn- und Leitsignals aufweist und in der Intensität von unangenehm bis unerträglich reichen kann. Als chronischer Schmerz hat es den Charakter des Warnsignales verloren und wird heute als eigenständiges Krankheitsbild (Chronisches Schmerzsyndrom) gesehen und behandelt.“
Hier drin steckt schon vieles, was für uns Achtsamkeitsinteressierte spannend sein könnte. Das erste ist, dass es sich bei Schmerzen um subjektive Sinneswahrnehmungen handelt. Also etwas was sich, wenn man Aufmerksamkeit drauf richtet, fühlen lässt und zwar „akut“, also im jetzigen Moment und was in der Intensität unterschiedlich sein kann. Funktion des Schmerzes ist es uns zu warnen und auf etwas aufmerksam zu machen. Ignorieren wir dieses Signal immer und immer wieder, kann es passieren, dass es die Warnfunktion nicht mehr richtig funktioniert. Das gilt für körperlichen wie emotionalen Schmerz. Er wird chronisch.
Der akute Charakter des Schmerzes ist ein Fall für die Achtsamkeit. Wir können durch achtsames Wahrnehmen des Körpers, die Schmerzsignale erkennen und haben mehr Handlungsspielraum, darauf angemessen zu reagieren.
Was ist dagegen Leid:
„Leid bezeichnet als Sammelbegriff all das, was einen Menschen körperlich und seelisch belastet. Leid stellt eine menschliche Grunderfahrung dar. In welcher Tiefe Leid empfunden wird, ist subjektiv und hängt vom Einzelnen ab, also von den eigenen Erfahrungen und Einstellungen.(erneut Wikipedia)“
„Das ist doch das Selbe!“, sagen jetzt vielleicht einige. Der erste Unterschied, Leid ist keine Sinneswahrnehmung, sondern ein anderes Phänomen. Es ist vielmehr ein geistiges Phänomen. Es ist ebenfalls subjektiv, aber es hängt viel von den Erfahrungen und Einstellungen eines Menschen ab. Wie jemand über ein bestimmtes Geschehen nachdenkt, entscheidet sehr viel darüber, als wie leidvoll er es erfährt. Auch Leid ist durch Achtsamkeit erfahrbar. Es sind Gedanken und Gefühle, die meistens automatisch und unbewusst durch schmerzhafte Erfahrungen ausgelöst werden.
So kann zum Beispiel die schmerzhafte Erfahrung von Beinschmerzen zu ganz unterschiedlichem Leid führen. Manche werden sich über den Schmerz ärgern und vielleicht denken “Ich mach schon so viel Sport, warum ist er immer noch da“ und dann fühlen sie sich schuldig, so grob zu sich zu sein und sind enttäuscht. Dann ist Schmerz + Ärger + Schuldgedanken + Enttäuschung = Leid. Wie Zwiebelschicht um Zwiebelschicht legt sich das Leiden um die einst akute Wahrnehmung von Schmerz. Bei Emotionalem Schmerz sind es vielleicht folgende Schichten: der Schmerz der Zurückweisung + Selbstmitleid + Scham + Rückzug = Leid. Und hier kommt das Mitgefühl ins Spiel, Wir alle haben die Tendenz schmerzhafte Erfahrungen vermeiden zu wollen. Eine allzu menschliche Sache. In der Meditation versuchen wir mit Freundlichkeit darauf zu reagieren und schauen, ob es nicht heilsamere Möglichkeiten gibt mit dem Schmerz zu sein. Erst vielleicht sein Dasein tolerieren, dann den Signalen des Körpers mehr zuzuhören und vielleicht auch uns diesem Schmerz zuwenden.
Achtsamkeit kann also in diesen Kreislauf von Schmerz zu Leiden eingreifen, indem es den Schmerz als das sieht was er ist: eine unangenehme körperliche oder emotionale Empfindung. Und anstatt durch Nichthinschauen schnelles Reagieren, Flucht, Ablenkung, Schicht um Schicht Leid um den Schmerz zu basteln, können wir mit dem Schmerz gegenwärtig bleiben oder auch uns beim Bauen der Schichten zusehen. Wie Gedanken kommen, wie Impulse da sind, sich abzulenken, nach etwas zu greifen. Und wir nehmen es wahr und kehren zum aktuellen Augenblick zurück, vielleicht direkt in den Schmerz. Vielleicht nähern wir uns erstmal vorsichtig. Vielleicht mit einer einladenden Haltung und schauen, was passiert. Denn es ist ja schon da. Der Schmerz ist schon da, ob wir ihm Beachtung schenken oder nicht.
Leid ist Teil des Lebens. Aber wir haben die Möglichkeit einen großen Teil dieses Leides zu dem zu machen, was es vielleicht eher ist: Schmerz. Und wenn wir uns diesem Schmerz mit der freundlichen Art und Weise nähren, erkennen wir darin unsere Gemeinsamkeit mit allen Lebewesen. Diese Erkenntnis kann uns sowohl für das Leiden und den Schmerz von anderen zu öffnen und eine Motivation erzeugen Leiden auch bei anderen zu reduzieren.
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