Wenn man sich eine Vorstellung von einem Zen-Meister macht, denkt man vielleicht an einen Mann im Schneidersitz, der an das Nichts denkt oder eine Erleuchtung hat, während er meditiert. Wenn wir diese Vorstellung dann mit unseren eigenen Erfahrungen beim Meditieren vergleichen, sind wir vielleicht niedergeschlagen, weil unsere Übung ganz anders aussieht. Von wegen an nichts denken! Wir schweifen die ganze Zeit ab und im schlimmsten Fall quittieren wir die Meditation „ weil es für uns einfach nichts ist“, „Weil wir das nicht lernen können“. Darum möchte ich hier ein realistisches Bild der Meditation zeichnen.
Zuerst einmal ist Achtsamkeit bzw. Meditation für (fast) jeden etwas und auch erlernbar, es wirkt sich schnell positiv auf unsere Gesundheit aus, wie zahlreiche Studien belegen konnten. Als ich angefangen habe zu meditieren las ich Dinge wie „Meditation reduziert Grübeln“, „Entspannen durch Meditation“, „Achtsamkeit, das neue Wundermittel“ (oder so ähnlich). Prima, dachte ich, ich grübel viel, bin unentspannt und Wundermittel hört sich gut an. Wer ähnliche Überlegungen anstellte kurz bevor er sich das erste Mal mehr schlecht als recht in den Schneidersitz gesetzt hat (ich kann das bis heute nicht), versucht hat den Rücken grade zu halten und an nichts zu denken, dem wird folgendes bekannt vorkommen:
Und jetzt?, was mach ich jetzt hier? Achja, mich auf den Atem konzentrieren. ....Die Wäsche ist noch nicht aufgehangen....Du solltest dich auf den Atem konzentrieren. Man immer lässt du dich ablenken, wie schon bei der Arbeit. Aber der neue Kollege ist wirklich nett, wie heißt er nochmal? Frank oder Fabian. Hast du wieder nicht zugehört, als er Kuchen mitgebracht hat. Ich sollte auch mal wieder Kuchen machen.....
Dieser kleine Auszug ist so oder so ähnlich jedem Meditierenden seit 2500 Jahren passiert. Wirklich jedem. Gedankenketten. Es ist das was im Buddhismus Affenhirn, von Jon Kabat Zinn der Übergang von Sein-Modus in den Tun-Modus oder in der Psychologie als Rumination bezeichnet wird. Und es ist völlig normal. Der Geist macht was er am besten kann, Ideen kreieren, vorstellen, planen, bewerten, Überlegungen anstellen und Probleme lösen. Viele Leute sind von der Vielzahl an Gedanken, Impulsen, Empfindungen des Geistes und Körpers am Anfang mindestens überrascht, wenn nicht schockiert. So viel denke ich? Oh Gott, wie anstrengend.
Und kleiner Spoiler: Es wird nicht aufhören (aber vielleicht weniger). Auch der Dalai Lama, der seit Jahrzehnten mehrere Stunden morgens meditiert, hat Gedanken und Empfindungen. Eine kleine Top-10 allgemein üblicher Dinge:
„Boar ist das langweilig, ich könnte wirklich besseres tun!“
„Mein Rücken bringt mich um, man tut das weh!“
„Ich muss heute noch echt viel erledigen, als erstes mach ich...“
„Wie kann man nur so viel denken!“
„Ich kann einfach nicht meditieren!“
„Mein Bein ist eingeschlafen.“
„Wie soll man hier entspannen, wenn das so laut ist!“
„Jetzt streng dich doch mal an, ist doch nicht so schwer, einatmen, ausatmen."
„Das fühlt sich jetzt aber irgendwie sehr unangenehm an.“
„Woah, fühlt sich das leicht und entspannt an, ich liebe meditieren!“
Und dann setzen wir uns vielleicht anders hin, um den Schmerz zu verkleinern, nur um festzustellen, dass er nach einer Minute wieder da ist oder ärgern uns fürchterlich, dass wir es nicht hinbekommen, hören auf oder verfluchen die Geräusche, bemitleiden uns selbst oder sind sehr streng mit uns.
Und es passiert nicht einmal, sondern die ganze verfluchte Zeit hindurch. Und das soll erholsam sein?
Ja, wird es mit der Zeit. Wenn wir bemerken, dass wir nicht in irgendeiner Weise zusätzlich auf das Abschweifen des Geistes reagieren müssen, als die Aufmerksamkeit einfach wieder auf den Atem zurückzubringen, sanft aber bestimmt. Ohne Extrarunde Selbstabwertung, Ärger oder Bewegen. Und wenn wir bestimmte Empfindungen haben, dann können wir sie einfach wahrnehmen ohne darüber nachdenken zu müssen. Unangenehme Empfindung ist dann einfach unangenehme Empfindung. Abschweifen einfach Abschweifen. Der Impuls aufzustehen, einfach der Impuls aufzustehen. Es sind einfach nur noch Ereignisse in unserem Gewahrsein. Dinge die passieren, während wir dabei sin.
Und dann bemerken wir, wie sich das trübe Wasser langsam klärt, weil wir es nicht weiter aufwirbeln. Und manchmal werden wir es wieder aufwirbeln mit Ärger, Selbstkritik und Schmerz und dann lassen wir es sich einfach wieder klären. Das ganze Geheimnis.
Meditation ist weniger eine ausgefeilte Technik, als mehr die Haltung alles so zu nehmen wie es ist, aufmerksam und mit einer Prise guter Laune oder Wohlwollen.
Und manchmal denken wir auch:
„Wow, da war dieses Gefühl von Freiheit, das muss Erleuchtung gewesen sein. Ich will es nochmal“ oder „Das war wirklich entspannend“ und beim nächsten Mal ist es wieder eine sehr zerstreute Meditation und wir sind enttäuscht. Aber wir sind enttäuscht, weil wir einem Ideal der Meditation hinterherhinken und nicht einfach nur meditieren. Und irgendwann sind wir vielleicht einfach neugierig, was der Geist so macht, bringen die Aufmerksamkeit wieder auf den Atem zurück und machen kein Drama aus den Dingen, die da passieren.
Ich glaube, wenn ich Meditation irgendwie übersetzen würde ist es, Atmen und kein Drama aus dem Drama des Geistes machen. Der alte Schauspieler möchte ja nur eine Show abziehen, beweisen, was er alles kann, wie ein Kind, dass uns ein Kunststück zeigen will. Das ist alles. Normal halt.
Und vielleicht hilft uns der Gedanke, dass alle die den Mut haben, sich zum meditieren hinzusetzen, sich diesem Drama des Geistes jedes Mal stellen und es mit Nachsicht, Mitgefühl und ein bisschen Humor ein wenig kleiner machen, um einfach zu sein.
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